Die Zukunft des Goldschmiedehandwerks: Im Interview mit Handwerksmeisterin Sophia Singer

Goldschmiedehandwerk

Als typischer Handwerksberuf steht auch das Goldschmiedehandwerk vor großen Herausforderungen. So ist beispielsweise die Zahl der Auszubildenden bundesweit seit 2012 von 789 auf 492 gesunken. Dies wird von vielen mit einem allgemein sinkenden Interesse an handwerklichen Berufen begründet. Doch diese Zahlen spiegeln auch immer mehr altersbedingte Betriebsschließungen, die automatisch weniger Ausbildungsplätze bedeuten.

Über die Zukunft des Goldschmiedehandwerks wollen wir mit Sophia Singer sprechen. Sie ist Gold- und Silberschmiedemeisterin, staatlich geprüfte Gestalterin im Edelmetall mit eigenem Atelier in Augsburg, Referentin für Kunst & Kultur im Zentralverband der Deutschen Gold- und Silberschmiede e.V. sowie Mitglied im Landesinnungsverband Bayern.

Liebe Frau Singer, angesichts des technologischen Wandels könnte man meinen, dass das Goldschmiedehandwerk mit seiner handwerklichen Basis auf der Strecke bleibt und für junge Menschen unattraktiv wird. Ist dem so?

Das Goldschmiedehandwerk unterliegt bezüglich der Geschäftskonzepte einem Wandel. Viele Goldschmiede sind heutzutage Einzelkämpfer, die keinen klassischen Ladenverkauf mehr betreiben. Stattdessen setzen sie auf schön gestaltete Webseiten mit integrierten Online-Shops sowie auf Präsenz in den digitalen Vitrinen von Plattformen wie Instagram. Die persönliche Beratung erfolgt dann oft über Termine in der Werkstatt.

Leider ist es für diese Goldschmiede heutzutage schwierig, Auszubildende einzustellen, da die Kosten bis zum Abschluss der Ausbildung sehr hoch sind. Trotzdem glaube ich, dass der Beruf des Goldschmieds weiterhin attraktiv für junge Menschen ist. Neben einem breiten Wissen aus Technik und Kunstgeschichte bietet er unglaublich viele berufliche Anwendungsmöglichkeiten, die bis in die Kunst der Skulpturen, des Malens und Zeichnens hineinreichen.

Vor welchen Herausforderungen steht, Ihrer Meinung nach, das Goldschmiedehandwerk heute?

Die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft ist derzeit gefordert, das gilt auch für das Goldschmiedehandwerk. Aus meiner Sicht wird hochwertiger Schmuck in unsicheren Zeiten eher  attraktiver. Massenprodukte, aber auch nicht nachhaltiger Modeschmuck haben das Problem einer sinkenden Nachfrage, denn diese Klientel leidet am meisten unter der hohen Inflation und den Belastungen. Die Nachfrage verschiebt sich immer mehr in Richtung individuelle Anfertigung.

Die Industrialisierung/Massenproduktion und der schnelle Konsum haben im 20. Jahrhundert das Handwerk und die Individualität des Designs in den Hintergrund gedrängt. Heute gewinnt ressourcenschonende, nachhaltige Wertarbeit im Goldschmiedehandwerk wieder an Bedeutung. Auch Individualisierung als Megatrend passt wieder gut zu unserem Handwerk.

Ein erfreulicher Wertewandel, den es zu nutzen gilt.

Aber auch die Schnittstellen der Kundengewinnung haben sich stark verändert. Über Social Media erreicht man die Zielgruppe inzwischen hervorragend. Wer kein Ladengeschäft betreibt, profitiert nicht von der Laufkundschaft und spricht seine Kunden über andere analoge und digitale Touchpoints an, um bekannt zu werden und Kunden zu gewinnen. Die direkte Beratung erfolgt im Atelier und in der Werkstatt, analog und persönlich. Darüber hinaus ist eine Onlinepräsenz mit Einkaufsmöglichkeiten heute eine wichtige Vertriebsunterstützung.

„India-Drop“-Ringe mit Citrin, Rauchquarz und Amethyst sowie weiterer Schmuck von Sophia Singer sind in ihrem Online-Shop erhältlich: https://www.sophiasinger.de/shop/categorie/ringe

Aber auch die Vertriebsstruktur hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Waren früher Ausstellungen in Galerien oder Messen absolute Besuchermagnete, sind die Zahlen seit Corona stark rückläufig. Zu den Gewinnern zählen dagegen moderne Shootings, zum Beispiel im Bereich der Hochzeitsgestaltung. Auch hier kann man sich als Goldschmied*in mit erlesenen Stücken beteiligen. So wird man zum Nutznießer aller fotografierten Medien. Für mich eine Win-Win-Situation.

Sehen Sie die Zukunft der Goldschmiede gefährdet?

Jede Krise birgt neue Chancen. Man braucht in unserem Handwerk eine gewisse Neugierde und wir haben viele Krisen durch unsere Anpassungsfähigkeit überstanden. Wir erfinden uns neu, wenn es sein muss und wahrscheinlich sind wir sogar das älteste wiederaufbereitendes Handwerk. Somit sind wir hervorragend für dieses Zeitalter gerüstet, denn  Aufbereitung und Wiederverwertung sind in unserer DNA verankert. Wir Goldschmiede in Deutschland verarbeiten zum Beispiel schon sehr lange recyceltes Gold. Für uns ist das eine Selbstverständlichkeit, aber in der breiten Bevölkerung war dies bis vor Kurzem kaum präsent. Das hat sich nun mit dem wachsenden Umweltbewusstsein geändert und unsere Kunden nehmen diesen Benefit bewusster wahr.

Die Kenntnis über die ökologischen und sozialen Vorteile des Recyclings gegenüber Minengold hat die Wahrnehmung des Goldschmiedehandwerks positiv verändert.

Heute ist nicht nur der Nachhaltigkeitsaspekt wichtig, auch das Handwerk an sich wird hochgeschätzt. Schmuck ist einzigartig, individuell und trägt Schöpferisches in sich. Schmuck ist Ausdruck der Demut vor den verwendeten Materialien. Schmuck ist nicht nur Handwerk, sondern Tradition, Technik, Mythologie und Kunstgeschichte. Schmuck verfügt über eine aufsehenerregende Formensprache und manchmal ist er die pure Reduktion auf das Wesentliche.

Schmuck ist Faszination, seit Jahrtausenden. Schmuck ist Ausdruck besonderer Lebensmomente und wird uns Menschen deshalb immer begleiten und faszinieren.

Und wie würden Sie sich selbst als Goldschmiedin beschreiben?

Ich bin offen für Neues und mein Herz brennt für das Kunsthandwerk.

Ich liebe es, gemeinsam mit meinen Kunden individuelle Schmuckstücke zu kreieren. Eigene Serien, wie beispielsweise die farbenfrohen Tulipa-Ringe oder abstrakte reduzierte Formen, wie die Firn-Kollektion, sind meine weitere Leidenschaft.

Ebenfalls viel Freude macht es mir, alte Schmuckstück in neues Licht zu setzten und so wieder zum Strahlen zu bringen.

„Verlobung und Hochzeit“ sind besondere Momente im Leben von Menschen. Gemeinsam mit dem Brautpaar das für immer verbindende Schmuckstück zu kreieren, ist großartig!

Gleichzeitig liegt mir mein Atelierstandort in Augsburg sehr am Herzen. Augsburg ist eine der ältesten Goldschmiedestädte Deutschlands. Die Geschichte des Goldschmiedehandwerks reicht weit in die vorherigen Jahrhunderte zurück. Auch heute noch sind im Vergleich zu anderen Städten relativ viele Gold- und Silberschmiede in Augsburg ansässig. Mit unserem Handwerk führen wir sozusagen die Tradition der Augsburger Schmiede fort.

Sie sind auch Referentin des Zentralverbandes des Deutschen Gold- und Silberschmiedehandwerks für den Bereich „Kunst und Kultur“. Wie kann man sich Ihre Tätigkeit vorstellen?

Vielleicht zunächst ein paar Worte zum Verband: Der Zentralverband der Deutschen Goldschmiede und Silberschmiede e.V. führt vielfältige Aktivitäten durch und vertritt die Interessen der Goldschmiede sowohl in Deutschland als auch europaweit. Ein Beispiel für unsere Aktivitäten ist die „AUSBILDUNGSOFFENSIVE“ des Zentralverbandes. Der Zentralverband der Deutschen Gold- und Silberschmiede hat ein Förderprogramm für alle Mitglieder aufgelegt, die 2022 Auszubildende eingestellt haben. Die Erhaltung unseres Stempel-Gesetzes liegt uns ebenfalls sehr am Herzen, auch dafür setzte sich der Zentralverband ein.

In meinen Tätigkeitbereich fallen die Umsetzung des Nachwuchswettbewerbs „Junge Cellinis“ und beispielsweise die Neuauflage des Flyers, der für die Verwendung von Altgold wirbt. Die fachliche Betreuung der ausbildenden Fachschulen unterliegt ebenfalls meinem Ehrenamt.  Die Aufgaben für den Erhalt unseres Handwerks sind vielfältig und werden permanent herausfordernder.

Ich sag‘s mal frisch und frei: Jede mitwirkende Kraft ist förderlich, die sich mit Herz für die Erhaltung und Förderung von Kulturgut im Goldschmiedehandwerk engagiert. 

Die Aufgaben sind vielfältig und werden permanent herausfordernder.

Durch den stetigen Austausch mit meiner Lehrmeisterin Uta Werner Dick, Landesinnungsmeisterin in Bayern, habe ich immer eine profunde Ansprechpartnerin. Durch ihre Initiative ist der „Junge Cellinis“ Wettbewerb für junge Goldschmiede*innen ins Leben gerufen worden. Ihre kompetente Unterstützung für die Belange des Goldschmiedehandwerks ist Gold wert. 

Vielen Dank für das spannende Interview und Ihre Einblicke, Frau Singer!

Mehr Infos zu „Sophia Singer Schmuck“ gibt unter https://www.sophiasinger.de/ oder auf Instagram: https://www.instagram.com/sophia_singer_jewelry/ .

Bildrechte:

Portraitbild: Thomas Sing

Werktisch: Marlene Leister

Braut: The Seidels