Zurück zum Gold?! Über dentale Werkstofftrends- im Gespräch mit Herrn Prof. Pospiech

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Herr Professor Pospiech, Sie haben auf der Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Dentale Technologie einen Vortrag „Back to the roots?! Funktion und Ästhetik von Gold im Mund“ gehalten. Nun haben Sie in den letzten Jahren ja vor allem mit dem Slogan „Think Ceramics“ als Verfechter der vollkeramischen Versorgungen auf sich aufmerksam gemacht. Warum beschäftigen Sie sich heute wieder mit Edelmetall?

Es gibt gleich mehrere Gründe dafür.

Doch vorab: Ich denke weiterhin keramisch, denn die Glaskeramiken (im speziellen Lithiumdisilikat) kommen dem natürlichen Schmelz am nächsten und haben sich seit über zwanzig Jahren in der Mundhöhle sehr gut bewährt. Auch die monolithischen Zirkoniavarianten funktionieren.

Aber Keramiken verzeihen Fehler nicht so gut. Insbesondere bei der Okklusionsadjustierung scheint es vermehrt Probleme im Alltag zu geben – vielleicht, weil zahntechnische Inhalte zunehmend weniger Bedeutung in der Ausbildung haben. Wir wissen alle, dass die Okklusionsüberprüfung sehr diffizil sein kann, da wir mit den Okklusionsfolien immer noch ein nur sehr ungenaues Messinstrument zur Verfügung haben. Die Oberflächenqualität der Restaurationen und die Umgebungsfeuchtigkeit spielen eine große Rolle bei der Zeichnungsschärfe. Der Patient beißt in der Regel nicht reproduzierbar zu. Da kann die Okklusionseinstellung gerade bei größeren Arbeiten doch eine erhebliche Zeit in Anspruch nehmen, insbesondere wenn vielleicht das Registrat im Vorfeld nicht ganz perfekt war. Das heißt jetzt nicht, dass es nicht ginge, aber der Praxisalltag ist doch häufig auch von Zeitdruck geprägt.

Unter diesem Gesichtspunkt hat Gold den Vorteil, dass sich gerade auf mattierten Kauflächen Frühkontakte oder Zonen stärkerer Beanspruchung recht bald „selbst“ markieren und dann korrigiert werden können bzw. bei weicheren Legierungen gar selbst adjustieren.

Ein weiterer Aspekt sind die neuen Verarbeitungswege der Goldlegierungen. Aufgrund der Frästechnik werden wie bei der Keramik nur noch Legierungen mit perfektem Gefüge verarbeitet: Lunker und Poren, die beim individuellen Guss entstehen können und die damit einhergehende Korrosionsgefahr sind passé.

Last but not least: Mit hochwertigen Goldlegierungen gibt es eine jahrzehntelange Erfahrung und wenn ein Patient von mir eine lebenslange Garantie haben will, dann empfehle ich immer noch Goldrestaurationen (natürlich nur im Seitenzahnbereich). Gleichwohl muss man natürlich realisieren:

Ästhetik aus Patientensicht steht nun einmal nur für weiße Zähne und da ist eine Trendumkehr in nächster Zeit wohl nicht zu erwarten.

Spielt Edelmetall in der Ausbildung der Zahnmedizinstudenten heute überhaupt noch eine Rolle?

Für die Ausbildung der Studenten sind die Vollgoldrestaurationen meines Erachtens sehr wertvoll, denn es muss hier wesentlich präziser präpariert werden als bei den geklebten Restaurationen.

Ebenso das Aufwachsen von solchen Arbeiten sollte immer noch in der Ausbildung Bestandteil sein, da man sich erst in den realen Situationen detaillierte Gedanken zur Okklusion und den funktionellen Abläufen macht.

Leider geht der Trend in der neuen Approbationsordnung in eine andere Richtung: Zahntechnische und manuelle Komponenten sollen zurückgedrängt werden, weil man sie, nach mehrheitlicher Lesart,  ja als Zahnarzt nicht mehr brauche. Dies ist meines Erachtens zu kurzsichtig gedacht: Zahnmedizin und insbesondere die Restaurative Prothetik ist angewandte Zahntechnik. Ein manuelles Erleben ist durch eine noch so gute theoretische Ausbildung nicht zu ersetzen.

Wo sehen Sie heute die Einsatzgebiete für Edelmetall in der Zahnmedizin. Welche Indikationen machen aus Ihrer Sicht Sinn, welche nicht?

Im Oberkiefer alle Inlaysituationen, die ihren mesialen Kasten nicht in den bukkalen Bereich ausdehnen: Das lässt sich häufig realisieren, da ein kompromissloses Extension for prevention“ nicht mehr die primäre Präparationsvorgabe ist. Auch bei Goldinlays lässt sich minimalinvasiv vorgehen.

Dann natürlich Teilkronen auf den Molaren, insbesondere, wenn es „funktionsaktive“ Patienten sind und alle Restaurationen, die nicht mehr schmelzbegrenzt sind.

Tief subgingivales Kleben ist sehr aufwändig und nicht immer zu beherrschen. Zudem sind dünne, nicht sichtbare verbleibende Bondingreste gerade in der Tiefe fatal für die Parodontalgesundheit.

Das klassische Befestigen mit einem konventionellen Zement (Zinkphosphat- oder Glasionomer) ist da wesentlich unkomplizierter.

Im Unterkiefer sieht man natürlich als Betrachter eher auf die Kauflächen. Deshalb würde ich da zunächst die primären Indikationen im Molarenbereich sehen.

Hier gilt: Wenn kein Schmelz vorhanden ist, sollte ein weißer Werkstoff, der auf  ein Befestigen mit Komposit angewiesen ist, kritisch betrachtet werden, da die Dauerhaftigkeit des Dentinklebens noch nicht gelöst ist. Der Patient muss zumindest darauf hingewiesen werden, dass es Alternativen gibt. Letztendlich entscheidet er selbst, ob er mehr Wert auf eine weiße Kaufläche oder eine funktionell sicherere Lösung legt.

Wenn wir von metallischen Versorgungen ausgehen, sehen Sie klinisch relevante Unterschiede zwischen dem Einsatz von Edelmetallen und Nichtedelmetallen?

Wenn es um die Kaufläche aus Metall geht, dann haben natürlich die Goldlegierungen die bereits skizzierten Vorteile, und ich rede jetzt hier nur von den hochgoldhaltigen Legierungen.

Als „Keramikträger“ haben sich allerdings die modernen, nickelfreien EMF-Legierungen sicher gut bewährt. Kobalt-Chrom-Molybdänlegierungen sind relativ leicht, haben ein hohes E-Modul und eine große Zähigkeit und sind sowohl gut zu verkleben als auch zu zementieren. Gleichwohl in der Teilprothetik sind sie das Mittel der Wahl.

Aus meiner Sicht spielt Gold bei Einzelzahnrestaurationen eine vorzügliche Rolle. Wenn man das Material wie bei Federrändern noch etwas treiben will, da das Gold duktiler ist. Es ist optisch „wärmer“ und fällt als Kaufläche im Mund nicht so auf wie eine grau-silbrige Legierung.

Korrosionstechnisch sollten beide Legierungen bei optimaler Verarbeitung problemlos funktionieren.

Welchen Trends in der Werkstoffentwicklung oder bei den Fertigungsverfahren messen Sie ein Zukunftspotential bei und warum? Wird hierbei aus Ihrer Sicht das Edelmetall eine Rolle spielen?

Mit der Beantwortung dieser Fragen könnte man natürlich eine Vorlesungsreihe füllen (lacht).

Den idealen Werkstoff wird es wohl nicht geben, aber eine Reduktion der Vielfalt wäre sinnvoll.  Als ich vor 32 Jahren mein Examen gemacht hatte, kam ich lange Zeit mit sehr wenigen Werkstoffen aus: Komposite für die Frontzahnfüllung, Amalgam als Standardversorgung, von dem ich immer noch überzeugt bin und Degulor M bzw. Degudent U als Lösung für festsitzenden Zahnersatz und der Teleskopversorgung. Eine nickelfreie EMF-Legierung war natürlich bei herausnehmbaren Prothesen und der Klebebrückentechnik der Werkstoff der Wahl.

Irgendwann wurde dann eine Werkstoffhysterie losgetreten, so dass wir ja über 2000 verschiedene Legierungen zur Verfügung hatten – welcher Zahnarzt sollte da die Übersicht behalten.

Was muss eine Legierung für den klinischen Einsatz können? Sie muss gut zu polieren sein. Das ist für den Zahnarzt eine conditio sine qua non. Sie muss reproduzierbar mit einem lunker- und porenfreien Gefüge herstellbar sein.

Aus diesen Gründen sehe ich derzeit die Frästechnik als eine gute Lösung an. Trotz, dass bildhauerisch gearbeitet wird und viel Material verloren geht, die Blanks sind perfekt hergestellt.

Wenn sich die additiven Techniken verbessern, ist das sicher der wünschenswertere Weg, aber da bin ich im Detail nicht vertraut.

Bei schichtartigem Aufbau könnten Schichten bleiben und wir haben gelernt, dass zumindest einige lasergesinterte Gefüge im Vergleich zum gegossen Werkstoff eher spröder sind. Elastizität ist aber zumindest in der Klammerprothetik eine gewünschte Eigenschaft.

Letztlich muss man bei neuen Technologien immer auch eine Kosten-Nutzen-Relation sehen.

Die CAD/CAM-Technik hat dasselbe Problem wie alle computerbasierten Probleme. Die Software veraltet schneller als man die Systeme finanzieren kann. Jeder weiß, wie das bei unseren PCs oder Smartphones ist. Ständig werden Updates angeboten und das macht das Spiel unkalkulierbar.

Insbesondere das Einzellabor ist in einer großen Zwickmühle, wenn es um Investitionen und Gewinnmargen geht. Eine Tiegelschleuder von Degussa ist nach 30 Jahren noch problemlos im Einsatz – ob man das von einem 3-D-Drucker sagen kann, sei einmal dahingestellt.

Die von vielen Seiten neuerdings propagierten (Hochleistungs)komposite sind meines Erachtens jedenfalls nicht die Alternative zu hochwertigen Vollkeramikrestaurationen. Die Dauerhaftigkeit ist fraglich, da Komposite mehr Wasser aufnehmen, weniger abrasionsfest sind und sich ihre mechanischen Eigenschaften unter den Bedingungen des Biotops Mundhöhle schneller verschlechtern als bei allen anderen Werkstoffen. Der oft erwähnte Stoßdämpfereffekt ist meines Wissens derzeit nur ein Begriff der Marketingstrategen.

Zum zweiten Teil Ihrer Frage:

Edelmetalllegierungen werden wohl aus der jetzigen Sicht wegen der „metallischen Ästhetik“ und des hohen Materialpreises nicht mehr zur Massenversorgung herangezogen, wobei man nie weiß, wie sich das Trendverhalten der Bevölkerung entwickelt.

Schauen Sie, vor zwanzig Jahren hat man beim Thema Tätowierung nur Bevölkerungsgruppen assoziiert, die eher in St. Pauli beheimatet waren. Mittlerweile sind laut einer neueren Studie fast 20 Prozent der Deutschen irgendwo tätowiert und Tattoo-Studios gibt es nicht nur in den Rotlichtvierteln. Es wird relativ viel Geld in einen Trend investiert, von dem man nicht weiß, welche Auswirkungen er auf die individuelle Gesundheit hat.

Wer weiß wie es sich entwickelt, wenn auf einmal George Clooney statt weißer Zähne Goldrestaurationen trägt. Dann spielt das Geld bei den Patienten keine Rolle mehr, wie man bei den überteuerten Kaffeekapseln ja sieht.

Was würden Sie also unseren Lesern bei der riesigen Wertstoffauswahl raten?

Mein Credo lautet, wenn ich das einmal plakativ zusammenfassen darf:

Think ceramics! – wenn immer sinnvoll und möglich, da Keramik der Werkstoff ist, aus dem die Zähne sind.

Hochgoldhaltige Versorgungen insbesondere bei funktionsschwierigen Patienten und wenn lebenslange Garantie gewünscht ist.

Kunststoffe so wenig wie möglich, wenn es bewährte Alternativen gibt. Das gilt nicht nur für die Plastiktüte sondern auch die zahnmedizinische Versorgung.

Vielen Dank für das sehr interessante Gespräch, Herr Pospiech!

Herr Prof. Dr. med. dent  Peter Pospiech ist erstrangiger Spezialist für Werkstoffkunde und zahnärztliche Prothetik. Neben seinen Lehren an den Universitäten u.a. in Regensburg, Würzburg oder Berlin werden auch seine qualitativ hochwertigen Vorträgen und Seminaren in Fachkreisen sehr geschätzt.