Neben den höheren Preisen für Rohöl, Erdgas und Industriemetalle führte der Krieg in der Ukraine in den letzten Tagen für eine deutliche Verteuerung der Edelmetalle. Je nach Szenario ist ein weiterer Preisanstieg beziehungsweise ein teilweiser Rückgang der Preise vorstellbar.
Der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine ab Ende Februar bringt nicht nur unvorstellbares Leid über die Bevölkerung, sondern er bedeutet auch eine geopolitische Zäsur: Die rund 30 Jahre dauernde Friedensphase seit dem Fall des „eisernen Vorhangs“ 1989/90 muss spätestens jetzt als beendet angesehen werden, und eine Neuauflage des „Kalten Krieges“ zwischen Russland und den westlichen Staaten hat begonnen. Die Ereignisse der letzten Tage hatten selbstverständlich auch große Auswirkungen auf die Wirtschaftswelt, die Börsen und die Edelmetallmärkte.
Der Goldpreis stieg bereits in den Tagen vor dem russischen Angriff etwas an und erreichte vor kurzem ein neues Allzeithoch bei 2.070 US-Dollar je Feinunze beziehungsweise rund 61 Euro je Gramm. Der Anstieg von Anfang Februar bis zum Hoch betrug fast 19 %. Silber wurde mit nach oben gerissen und verteuerte sich prozentual sogar noch etwas stärker. Den größten Preisanstieg verzeichnete Palladium, das in der Spitze 3.442 US-Dollar je Feinunze kostete, umgerechnet rund 100 Euro pro Gramm. Dies war eine Verteuerung um 50 % seit Anfang Februar. Und als Reaktion legte auch der Platinpreis zu.
Die nachfolgende Grafik zeigt die Entwicklung von Gold, Silber, Platin und Palladium in Euro, wobei die jeweiligen Edelmetallpreise auf einen Wert von 100 % am 1. Februar 2022 umgerechnet wurden.

Die Verteuerung des Goldes kann in erster Linie mit der Flucht in sichere Anlageformen erklärt werden, wozu nicht nur die Sorge vor einer Eskalation des Krieges beitrug, sondern auch der Absturz der Kurse an den Aktienmärkten. Ein drittes Argument für Gold ist die hohe Inflation. Im Februar stieg sie in den USA von 7,5 % auf 7,9 % und in der Eurozone von 5,1 % auf 5,8 %. Angesichts der aktuell höheren Preise für Rohöl und Erdgas dürften die Inflationsraten voraussichtlich weiter zulegen. Die Nachfrage nach physischem Gold ist in den letzten Wochen jedenfalls spürbar angestiegen, wobei derzeit alle Barrengröße von 1 Gramm bis 1.000 Gramm begehrt sind. Auch die Käufe von physisch besicherten und börsengehandelten Edelmetallfonds nahmen zu. Seit Jahresanfang kauften die Emittenten dieser Wertpapiere ungefähr 150 Tonnen Gold.
Im Fall von Palladium ist die große Bedeutung von Russland der Grund für den Preisanstieg. Wie im letzten regulären Fokus Edelmetalle von Anfang Februar erläutert, entfallen etwa 45 % der jährlichen Palladiumförderung auf den Staat von Wladimir Putin. Ein Ausfall dieser Quelle kann vom Westen kaum ausgeglichen werden, da das hellgraue Edelmetall schon bislang ausgesprochen knapp war und für die Produktion von Abgaskatalysatoren für Kraftfahrzeuge benötigt wird. Möglicherweise wechseln die Unternehmen deshalb in den kommenden Jahren verstärkt zu Katalysatoren aus dem weniger knappen und preislich günstigeren Platin, weshalb dessen Preis ebenfalls anzog. Kurzfristig ist dies aber nicht möglich, und deshalb besteht das Risiko einer Nachschubunterbrechung ähnlich wie im Fall der europäischen Versorgung mit russischem Erdgas.
Bislang wurde übrigens von westlicher Seite noch kein offizielles Importverbot für Edelmetalle aus Russland verhängt, und auch von russischer Seite ist nichts über einen Ausfuhrstopp bekannt. Außerdem beließ die Londoner Edelmetallbörse für Platin und Palladium (LPPM) die russischen Raffineriebetriebe auf ihrer Good Delivery-Liste. Hierbei handelt es sich um eine Art Zertifizierung für besondere Qualitätsanforderungen, die dabei hilft, den Handel zu erleichtern. Dagegen hat sich die Edelmetallbörse für Gold und Silber (LBMA) dafür entschieden, alle russischen Betriebe von ihrer Good Delivery-Liste zu streichen.
Wie geht es im Ukraine-Krieg und an den Edelmetallmärkten weiter?
Grundsätzlich sind drei verschiedene Szenarien denkbar. Das erste Szenario ist der wünschenswerte Fall eines baldigen Friedens, beispielsweise durch eine Verhandlungslösung zwischen den Konfliktparteien. In diese Richtung deuten die Gespräche, die kürzlich zwischen den Außenministern der Ukraine und Russlands in Ankara stattfanden und die fortgesetzt werden sollen. Bei einem Erfolg würde die allgemeine Erleichterung vermutlich zu einer Verringerung der Risikoprämie auf die Edelmetallpreise führen. Und auch die anderen zuletzt deutlich gestiegenen Preise für Erdgas, Rohöl und Industriemetalle würden sich vermutlich etwas ermäßigen. Da der Euro gleichzeitig gegenüber dem US-Dollar aufwerten dürfte, könnte der Preisrückgang aus europäischer Sicht sogar überproportional ausfallen.
Entscheidend hierfür ist jedoch, ob die Zugeständnisse Russlands so weitreichend sind, dass sich die westlichen Staaten für eine Lockerung der Sanktionen entscheiden und auch der freiwillige Boykott Russlands durch westliche Firmen wieder abgemildert wird. Da jedoch eine gewisse Unsicherheit über die Nachhaltigkeit des Friedensschlusses bestehen bleiben dürfte, insbesondere wenn Wladimir Putin weiterhin Präsident Russlands sein wird, ist ein Preisrückgang auf die Niveaus vor der Krise vorerst unwahrscheinlich. Gleichzeitig dürfte die Inflation zunächst erhöht bleiben, wobei jedoch im Verlauf der nächsten Monate die absehbaren Leitzinserhöhungen der US-amerikanischen Notenbank etwas auf den Gold- und Silberpreis lasten dürften.
Wenn es nicht zu einem Friedensschluss kommen sollte, dann muss mit einem längeren und blutigen Krieg gerechnet werden. Die Ukraine leistet entschiedenen Widerstand, und da sie von den westlichen Staaten mit Waffen und Geheimdienstinformationen wie Satellitenbildern und ähnlichem versorgt wird, ist ein baldiger Sieg Russlands unwahrscheinlich. Umgekehrt kann die Ukraine aber auch nicht Russland besiegen. Aufgrund der Sanktionierung von Russland als wichtigem Rohstoff-, Energie- und Getreidelieferant würde die Bevölkerung im Westen in diesem Szenario unter der hohen Inflation leiden und die Wirtschaft unter gestiegenen Einkaufspreisen. Vermutlich würde sich die Konjunktur abschwächen, weshalb Gold als Anlage grundsätzlich attraktiv bleiben dürfte. Allerdings würden sich voraussichtlich die Schmuckgoldnachfrage und die industrielle Silbernachfrage abschwächen. Die Risikoprämie auf den Palladiumpreis dürfte hoch bleiben, wobei sich erst in ein paar Monaten zeigen dürfte, ob die Versorgungslage wirklich angespannt ist.
Das dritte denkbare Szenario ist eine Eskalation des Krieges über die Ukraine und Russland hinaus. Dies wäre beispielsweise denkbar, wenn der Westen die bislang von der Ukraine geforderte Flugverbotszone über ihrem Staatsgebiet einrichtet und damit bei Bedarf gezwungen wäre, russische Flugzeuge abzuschießen. Aber es sind auch andere Anlässe vorstellbar. Die Folgen eines Hineinziehens der NATO in den Konflikt sind jedenfalls kaum abzuschätzen. Als ziemlich sicher kann angesehen werden, dass Russland in diesem Fall die Erdgaslieferungen an Westeuropa einstellen würde und deshalb eine Energiemangelkrise folgen würde. Eine Rezession wäre die unausweichliche Konsequenz. Der Goldpreis würde deshalb und aufgrund der politischen Lage wahrscheinlich neue Höchststände erklimmen und den Silberpreis mitziehen. Auch bei Palladium und Platin würden Versorgungsengpässe drohen.
Welches der drei Szenarien zur Realität wird, hängt einerseits von den Entscheidungen des russischen Präsidenten ab, die sich kaum prognostizieren lassen. Auf der anderen Seite haben die westlichen Staaten durchaus Möglichkeiten, das Geschehen zu beeinflussen. Beispielsweise wurde die Diskussion über die Lieferung von Kampfflugzeugen aus NATO-Mitgliedsstaaten an die Ukraine in den letzten Tagen sehr kontrovers geführt. Letztendlich fiel die Entscheidung der USA dagegen aus, da dieser Schritt Russland zu stark provoziert hätte. Die Gefahr einer Eskalation wurde vermieden.
Insgesamt wäre ein Frieden durch Verhandlungen für alle beteiligten Konfliktparteien vermutlich die beste Lösung. Deshalb ist zu hoffen, dass sich diese Einsicht durchsetzt und Moskau und Kiew einen Kompromiss finden können. Die ursprüngliche Situation von Wirtschaft und Politik wie vor der Krise wäre damit jedoch nicht wieder hergestellt, denn das Misstrauen zwischen Russland und dem Westen dürfte bestehen bleiben. Und der zusätzliche Inflationsimpuls dürfte die Weltwirtschaft auch noch längere Zeit beschäftigen.
Dr. Thorsten Proettel
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