Der Krieg in der Ukraine sorgte von Ende Februar bis Anfang März für Panik an den Wertpapierbörsen. Während die Aktienkurse heftig einbrachen, profitierte Gold von der Stellung als „sicherer Hafen“, und der Preis stieg auf den höchsten Stand seit Sommer 2020. In den letzten Wochen traten in der Finanzwelt dann wieder die Inflationssorgen und die Reaktionen der Notenbanken hierauf in den Vordergrund. Dies dürfte auch in den Sommermonaten das beherrschende Thema für die Edelmetallpreise bleiben.
Bereits in den Tagen vor dem Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine am 24. Februar reagierte das Krisenmetall mit Preissteigerungen. So verteuerte sich ein Gramm Gold seit der Veröffentlichung des letzten Fokus Edelmetall am 9. Februar von rund 51,50 Euro auf mehr als 54 Euro unmittelbar vor Beginn des Krieges. Anschließend gab es kein Halten mehr, und als in der zweiten Märzwoche Ängste vor einer Eskalation zu einem Dritten Weltkrieg um sich griffen, schoss der Börsenpreis in der Spitze auf mehr als 61 Euro je Gramm nach oben. In dem gleichen Zeitraum, in dem sich Gold somit um knapp 19 % verteuerte, sank der wichtigste europäische Aktienindex, der Euro Stoxx 50, um rund 19 %. Die Bedeutung von Gold als Instrument zur Diversifizierung von Kapitalanlagen wurde damit erneut eindrucksvoll belegt.

Aus internationaler Perspektive wurde ein neuer Preisrekord übrigens nur knapp verfehlt. An der Londoner Edelmetallbörse LBMA erreichte Gold bei dem Nachmittagsfixing am 8. März einen bisherigen Jahreshöchststand von 2.039 US-Dollar je Feinunze. Aber am 6. August 2020 wurde vor dem Hintergrund der damaligen wirtschaftlichen Verwerfungen aufgrund der Corona-Pandemie mit 2.067 US-Dollar ein noch höherer Preis festgestellt (siehe graue Linie in der Grafik oben). Etwas anders sieht es bei der Betrachtung des Goldpreises in Euro aus. Hier wurde mit dem genannten Preis von 61 Euro je Gramm das bisherigen Hoch von August 2020 bei 56 Euro je Gramm klar übertroffen und somit ein neuer Rekord aufgestellt (siehe grüne Linie).
In den vergangenen Wochen gab die Notierung wieder etwas nach, was sich gut in das Muster von ähnlichen Ereignissen aus der Vergangenheit einfügt. Als der Irak im August 1990 das Nachbarland Kuwait überfiel, stieg der Goldpreis innerhalb von drei Wochen um etwa 12 % an, bevor er wieder nachgab. Ähnlich war es im Umfeld der Terroranschläge vom 11. September 2001 zu beobachten, als sich Gold in gut zwei Wochen um 7 % verteuerte und danach wieder etwas verbilligte. Typischerweise wenden sich die Börsen nach dem ersten Schrecken relativ zügig anderen Themen zu, und so wird es sich wahrscheinlich auch dieses Mal fortsetzen, sofern keine internationale Eskalation des Krieges eintritt.
Dieses neue beziehungsweise alte Thema ist aktuell die hohe Inflation, die in den USA und in der Eurozone zuletzt fast 8 % erreichte. Und außerdem spielen die Reaktionen der Zentralbanken hierauf eine wichtige Rolle. Der Einfluss dieser Entwicklungen auf den Goldpreis ist allerdings nicht eindeutig. Auf der einen Seite nimmt das Interesse an einer Kapitalanlage in Gold bei hoher Inflation eher zu, und aktuell sieht es nicht danach aus, dass diese Phase in den kommenden Monaten schnell vorüber sein wird. Aber auf der anderen Seite erhöhen verschiedene Zentralbanken sehr zügig ihre Leitzinsen, um die Konjunktur abzukühlen und damit die Inflation zu dämpfen. So beschloss das Entscheidungsgremium der US-amerikanischen Federal Reserve Anfang Mai eine Zinsanhebung um 0,5 Prozentpunkte, und in den kommenden Monaten sind weitere Erhöhungen in dieser Größenordnung eingeplant. Die Renditen von US-Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von 10 Jahren haben deshalb bereits die Marke von 3,0 % überschritten. Und grundsätzlich gilt, dass steigende Zinsen für zinslose Kapitalanlagen wie Gold ungünstig sind. Je länger und je stärker die Zinsen nach oben gehen, desto mehr dürfte dieser Effekt überwiegen.
In den kommenden Monaten dürfte noch ein zweiter Aspekt die Goldnachfrage dämpfen: Die Verteuerung von Energie, Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Lebens lässt vielen Menschen kaum finanzielle Spielräume zur Anschaffung von Luxusgütern wie Schmuck übrig. Das World Gold Council als Interessenvereinigung der Minenindustrie schätzt, dass die Schmuckgoldkäufe bereits im 1. Quartal 2022 um 7 % niedriger als im Vorjahresquartal lagen. Dieser Trend dürfte sich in den nächsten Monaten fortsetzen. Hinzu kommt, dass die Sanktionen und der Konjunktureinbruch auch bei der Schmuckgoldnachfrage in Russland ihre Spuren hinterlassen werden. Mit einem Bedarf von geschätzt 40 Tonnen Gold pro Jahr ist dieser Markt ungefähr doppelt so groß wie diejenigen Deutschlands und Frankreichs zusammen. Und hierbei sind die Schmuckkäufe wohlhabender russischer Käufer im Ausland noch nicht einmal berücksichtigt.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass der Goldpreis in den kommenden Monaten das Potenzial hat, etwas nachzugeben, sofern der Krieg in der Ukraine nicht eskaliert. Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Risiken dürfte sich der Preis aber nur moderat bewegen.
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